Entschleunigung

Selbstfürsorge über Medienflut

September 23, 20254 min read

Wie viel Welt verträgt ein Mensch?

Ein kritischer Blick auf Nachrichtenkonsum, Resilienz und bewusste Abgrenzung

Ich bin reingerutscht - mal wieder

Erst ein kurzer Blick auf die Startseite.
Dann ein Artikel. Zwei Kommentare.
Ein Video. Ein Thread.
Und zack - war ich drin.

Nicht bei einem Sender.
Quer durch den Mediendschungel.
Öffentlich-rechtlich, privat, international.
Foren, Debatten, Dokus, Algorithmen, Wut- und Empörungsschleifen.

Der vermeintlich informative Strudel hatte mich fest im Sog.
Was ich bekam, war:

  • zu viel Welt im Kopf

  • zu wenig Raum in mir

  • und ein Algorithmus, der mir jetzt noch mehr davon serviert.

Ich bin nicht informiert - ich bin überfüllt
Und der Reflex, noch mehr zu klicken, unglaublich stark.

Natürlich, verglichen zum Weltgeschehen ist das kein Drama.
Aber ein guter Moment, um aufzuräumen:

→ im Kopf,

→ Im Gefühlshaushalt,

→ im digitalen Feed.

Die Illusion vom "informiert sein"

Ich behaupte, wir leben in einer Gesellschaft, die Wissen mit Kontrolle verwechselt.
Wer informiert ist, gilt als verantwortungsvoll.
Wer abschaltet, wird belächelt, manchmal sogar beschuldigt: "Willst du etwa die Augen verschließen?!"

Aber was, wenn unser Nervensystem längst nicht mehr unterscheiden kann zwischen Mitfühlen und Mitbrennen?
Was, wenn zu viele Informationen nicht zu mehr Bewusstsein, sondern zu innerer Lähmung führen?

Ich beobachte das auch bei mir. Dieser Impuls, "Bescheid wissen zu müssen".
Dabei ist die vermeintliche Informiertheit oft nur ein Trugbild: eine Mischung aus Reiz, Reaktion und emotionaler Aufladung.

Informiertheit ist kein Zustand.
Es ist ein Gefühl - eines, das uns klug und wach erscheinen lässt, während wir längst in einem Spiel mitspielen, das andere Regeln schreibt.

Ich dachte, ich sei informiert.
In Wahrheit war, bin ich nur aufgeladen.
Sensibel, impulsiv, scharf gemacht für ein fremdes Interesse.

Wir halten uns für kritisch, dabei sind wir oft nur gut gefüttert - von Algorithmen, die wissen, wie man uns triggert.
Wir glauben, Teilhabe zu leben, und werden dabei Spielbälle im Meinungskampf anderer.

Das ist kein Vorwurf an "die Anderen". Es ist eine Selbstbeobachtung. Und eine Einladung, genau hier achtsam zu werden. Vor allem für jene, die weniger filtern können, für die jede Schlagzeile zur Bedrohung wird. Die in Unsicherheit leben, und denen das vermeintliche "Bescheidwissen" nicht Sicherheit, sondern Angst bringt.

Beim Durchforsten von Kommentarspalten, Artikeln oder auch Plattformen fällt mir auf:
Was "kritisches Denken" ist, wird sehr unterschiedlich definiert.

Und mehr noch: Menschen, die sich bewusst konsequent oder ab und an vom Medienbeschuss distanzieren, werden nicht selten öffentlich abgewertet. Als wäre selektives Konsumieren eine Form von Ignoranz oder Verantwortungslosigkeit.

Dabei ist genau das ein Zeichen von Selbstregulation und Reflexionsfähigkeit. Nicht jede Person muss permanent "on" sein, um engagiert zu sein.

Information ist keine moralische Währung.

Wer mitdiskutieren will, darf sich natürlich vorher informieren.
Aber wer für sich entscheidet, gerade nicht alles wissen zu wollen - um der eigenen psychischen Gesundheit willen - verdient Respekt.
Nicht Rechtfertigungsdruck.

Resilienz beginnt beim Filter

In meiner Arbeit begegne ich Menschen, die erschöpft sind vom Funktionieren, vom Reagieren-Müssen.
Viele sind empathisch, informiert, offen.
Und gerade diese Menschen laufen Gefahr, sich in der Dauerflut zu verlieren.

Resilienz bedeutet nicht, alles auszuhalten.
Resilienz bedeutet, unterscheiden zu können:

  • Was darf ich loslassen?

  • Was geht mich wirklich etwas an?

  • Und wie schütze ich meine Energie, ohne die Welt zu verleugnen?


Zwischen Weltgeschehen und Selbstverlust.

Ich habe positive Nachrichtenportale durchforstet. Nach Lichtblicken gesucht, wie beispielsweise
Göttingen: das Übermalen von Hakenkreuzen ist keine Straftat oder die EU lässt ein Medikament gegen Wochenbettdepressionen zu - erster Impuls jeweils Freude, Genugtuung, Gerechtigkeit, positiver Fortschritt … dann Fragen.

Meine Fragen dahinter, mit seltsamen Beigeschmack:
Wenn solche Meldungen schon als "Lichtblick" gelten, wo stehen wir dann im kollektiven Miteinander?


Gewaltfreie Kommunikation im Nachrichtenzeitalter

Marshall Rosenberg sprach davon, Gefühle zu benennen und Bedürfnisse zu erkennen.
Was brauchen wir, wenn die Welt in Flammen steht?

Vielleicht:

  • Ein STOPP.

  • Eine Erlaubnis zur Pause.

  • Eine Kultur des Atmens statt des Dauerfeuers.

Ubuntu sagt: "Ich bin, weil wir sind."
Im medialen Kontext: Ich bin überfordert, weil wir überfordert sind.
Aber es kann auch heißen: Ich finde meine Kraft, wenn wir neue Wege finden.


Fazit: Atmen statt Abschalten

Ich werde weiter Nachrichten lesen. Natürlich.
Aber nicht ungefiltert. Nicht jederzeit. Und nicht um jeden Preis.

Ich achte auf mein Nervensystem.
Ich beobachte meine Reaktion - nicht nur die Schlagzeile.
Und wenn es zu viel wird, ziehe ich mich raus.
Nicht aus der Welt - sondern zurück zu mir.

Das ist keine Flucht.
Das ist Selbstfürsorge in Zeiten, in denen die Welt ständig nach Aufmerksamkeit schreit.

Und genau das gebe ich weiter:
In meinen Coachings, in Gesprächen.

Du darfst filtern.
Du darfst dich schützen.
Du darfst bewusst entscheiden, wie viel Welt du verträgst.

Das ist kein Luxus.
Das ist eine Haltung.

In diesem Sinne,

alles Liebe

Mo


Angela Mohaupt - Coachin & psychologische Beraterin
Begleitung mit Haltung – für Wandel, Verbindung & innere Klarheit

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